Freitag, 14. Dezember 2007

Freitag, 14. Dezember 2007: Kabbalat Shabbat

Damit die Juden Jerusalems auch ja nicht das Sabbatgebot übertreten, lassen sich die religiösen Schießhunde die tollsten Sachen einfallen. Es gibt zum Beispiel die Wächter, die aufpassen, dass alle jüdischen Geschäfte rechtzeitig schließen. Heute bin ich kurz vor Toreschluss um halb vier auf dem Markt gewesen. Da lief ein Ultraorthodoxer mit einem kleinen Horn rum und versuchte die verschiedenen Geschäfte dezent auf den baldigen Sabbatbeginn hinzuweisen. Er trat in jeden der Stände und kleinen Läden hinein und blies Verkäufern und Kunden den Marsch. Dann verfluchte er immer noch – reine Vorsichtsmaßnahme – diejenigen, die ihr Geschäft nicht rechtzeitig schließen würden und eilte weiter zum nächsten Laden nebenan. – Es sind selten die Mehrheiten, die den sozialen Druck ausüben. Aber seltsam, es wirkt trotzdem…

Montag, 10. Dezember 2007

Montag, 10. Dezember 2007: Fliegender Holländer

Vermisse meinen Mitbewohner Douwe. Der ist immer nur zwei Monate hier und fliegt dann wieder für zwei Monate in die Niederlande zurück. Jetzt ist er seit zwei Wochen wieder bis Januar weg. Kurz vor Abflug hat er mir seine Löffelsammlung gezeigt. Er ist Kleptomane und klaut Kaffeelöffel in Flugzeugen. Nichts anderes, meint er, weder Geld noch Supermarktartikel noch sonst was, aber bei kleinen Löffeln in Flugzeugen kann er nicht widerstehen, die muss er einfach haben. Und hat dann noch ein bisschen geschimpft, dass die Fluggesellschaften seit ein paar Jahren nur noch billige Einweg-Plastiklöffel haben. Freu mich schon darauf, dass er wiederkommt.

Donnerstag, 29. November 2007

Sonntag, 25. November 2007: Ewigkeitssonntag

In Jerusalem hat am Ewigkeitssonntag der „Weihnachtsmarkt“ aufgemacht. Als ich durch die arabisch-christliche Altstadt zur Kirche stapfte (in halbwegs feierliche weiße Jeans gekleidet, immerhin Ewigkeitssonntag!), lachten mir vor den ersten geöffneten Geschäften große aufblasbare Weihnachtsmänner entgegen, die zu unheimlich kitschiger James Last-Musik die Hüften schwangen wie Elvis Presley in seinen besten Monaten. Mehr als nur liturgisch geschmacklos. Aber der Ewigkeitssonntag ist eben ein protestantischer Sonntag, den kennt man in der Altstadt nicht. Und auch wenn, hier gilt eh nur das altbekannte Gebot „Wer zuerst verkauft, verdient am meisten.“

Samstag, 10. November 2007

Freitag, 9. November 2007: Regen, Regen

Doro, Nadia und ich (das Dreamteam aus Ramallah) sind zum Sabbat-Eröffnungsgebet an der Klagemauer gewesen. Danach musste dringend eine Falaffel her, und wir fanden am Neuen Tor die billigste (gute) Falaffelbude, die ich bisher in Jerusalem kenne, nämlich für 6 Schekel pro Falaffel, mit einem echt netten Falaffelmann. (Sag mal einen Satz mit 4 Mal „Falaffel“, hehe.) Na ja, wie wir da so saßen, in einem netten Hinterhof mit Gartenstühlen, fängt es auf einmal, ohne Vorwarnung, einfach so – an zu REGNEN! Richtiger Regen! Und man hat es vorher wirklich nicht gerochen oder am Himmel gesehen, es kam ganz ohne Vorwarnung! Während Doros Laune gegen Null steuerte, als ihr einfiel, wo ihre Bettwäsche grade hing, hab ich ein bisschen im sanften Nieseln getanzt und bin auf der Straße rumgesprungen.
Das zweite Mal richtig Regen nach drei Monaten nur Staub und Sonne Trockenheit! (Vom ersten Mal am 17. Oktober hab ich ja in der Rundmail geschrieben.) Und diese drei Monate waren ja nur meine Zeit in Jerusalem, es hatte die drei Monate vorher ja auch keinen Tropfen geregnet! Man kann sich in Deutschland nicht vorstellen, wie sehr ein ganzes Land durch und durch ausgetrocknet sein kann… (Und es gibt ja noch Gegenden in der Welt, denen es viel schlimmer geht als Jerusalem.) Die Erde zwischen den Baumwurzeln krümelt und lässt sich zwischen den Fingern zu ganz feinem Pulver zerreiben… die Luft kratzt ganz leicht im Hals… man riecht den Staub, der einem in die Nase kriecht… Wo einmal Gras war, raschelt laut gelbes Stroh beim Drauftreten… und dann – Regen, Regen, Regen! Die ersten labenden Tropfen erreichen kaum den Boden, scheinen unterwegs noch von der Luft aufgesogen zu werden… Aber zwei Wochen später die nächsten Tropfen… Und der Sommer hat längst verloren, neigt sich erneut in den Kreislauf des neuen Jahres, in den klammen Herbst – das Warten auf das erlösende Nass fällt jetzt leichter, und es kann nicht mehr lange dauern – Regen, Regen…

Mittwoch, 7. November 2007

Mittwoch, 7. November 2007: Chor

Um mich in meiner Freizeit auch noch ein bisschen mit anderen Sachen als hebräischen, englischen oder deutschen Texten herumzuschlagen, hab ich mich in den letzten zwei Wochen etwas nach Chören umgeguckt. (Die singen nämlich gerne klassisches Zeug, da sind die Texte dann auf Latein oder Italienisch.) Zum Glück ist das Angebot, das ich auftreiben konnte, gar nicht so reich, da fällt die Auswahl leichter. An den vergangenen beiden Sonntagen hab ich im Chor von Martin Vahrenhorst (Leiter unseres Studienprogramms hier) bereits festgestellt, dass ich nur sehr ungern Tenor wäre, wozu die Chorleiterin mich gerne überreden wollte. Hab deshalb beschlossen, dass ich Bass bin.

Gestern Abend war ich dann noch im Uni-Chor, der sich offensichtlich jedes Semester (aus fast nur ausländischen Studenten) neu gründet. Er wird geleitet von einer ehemaligen Operndiva mit einer gewaltigen Stimme. Sie ist sehr lustig, nur leider eine didaktische Katastrophe – sie hat den ganzen Chor einfach regelmäßig umgesungen. Um nicht nachher noch irgendwelcher Verleumdungen schuldig gesprochen zu werden, schweige ich von den anderen Sachen, die mir nicht gefallen haben… ;-) Werde jetzt also zu dem Chor am Sonntag Abend gehen, auch wenn er zu drei Viertel aus 40- bis 60-jährigen Kaffeekränzchen-Damen besteht und zu einem Viertel aus der deutlich unterlegenen Gruppe von Kaffeekränzchen-Herren.

Ich bin ein BASS. Hörst Du?

Dienstag, 6. November 2007

Samstag, 3. November 2007: Fahrradtour

Das Tote Meer ist nur knapp drei Stunden mit dem Fahrrad von Jerusalem entfernt. Jedenfalls wenn man die A1 vom Har haZofim Richtung Ma'ale Adumim nimmt. Doro und ich beschlossen deshalb, unsere Drahtesel ein bisschen Spazieren zu fahren. Nur ist die Autobahn noch nicht ganz ausgebaut, deswegen bekam der Ausflug auch noch einen leicht abenteuerlichen Anstrich. Vor allem fehlt irgendwie der Radweg. Ich bezweifle allerdings, dass er jemals gebaut wird. Stattdessen haben wir einfach die Baustrecke genommen, solange es ging, auf der fuhren keine Autos – wie praktisch.
Obwohl es ja ein Schabbat Vormittag war, herrschte einfach zu viel Verkehr, um wirklich entspannt zu fahren... Aber ich hab die Fahrt trotzdem sehr genossen. 1200 Höhenmeter Abfahrt - da fällt mir ein, ich wollte ja nachgucken, wie viel von den Bremsklötzen noch übrig ist. Und mitten drin mussten wir sogar noch ein kleines Stück wieder bergauf, nicht zu vergessen!
In Qumran haben wir uns ein unverschämt teures Mittagessen im Touri-Restaurant gegönnt, denn einen Fallafel-Stand gab's dort leider nicht. Die ausgegrabene Siedlung ist nicht sooo spektakulär, aber man will ja wenigstens mal dort gewesen sein. Dafür haben wir dann aber noch einmal die Beine untern Arm genommen und sind in die Berge hinaufgeklettert, denn das Wichtigste in Qumran sind schließlich die Höhlen, in denen die berühmten Schriftrollen vom Toten Meer gefunden wurden. Wir haben sogar eine hübsche, nicht ganz leicht zugängliche (uiuiui) Höhle gefunden und sie erkundet. Mittlerweile wohnen Vögel drin. Offensichtlich auch schon etwas länger – siehe die Fotos…
Ein paar Kilometer weiter nördlich fanden wir das sogenannte Biankini Beach am Toten Meer, wo wir leider für die letzten zwei Stunden noch jeder 30 Schekel löhnen mussten. Dafür haben wir uns dann aber auch das volle Programm gegönnt: Baden, Schlammpackung, ausgiebige Dusche und ein anständiges chilliges Abendessen zum Abschluss. Unsere Diwans auf der Terrasse waren schon sehr gemütlich.
Fahrradtour

Die Heimreise stellte dann die eigentliche Herausforderung dar. Denkt etwa jemand, wir fahren die 25 km und 1200 Höhenmeter wieder bergauf? Von wegen. ;-) Wir hatten uns sämtliche Überland-Busse aufgeschrieben, die in dieser verlassenen Gegend Samstag abends nach Schabbatende vorbeikommen. Der erste kam tatsächlich relativ pünktlich. Dummerweise war er proppevoll. Und als der Fahrer missmutig das Gepäckfach an der einen Seite öffnete, war auch das proppevoll. Auf Doros Drängen hin öffnete er uns auch noch das auf der anderen Seite – unglaublich, es war leer! Wir konnten ihn überreden, uns samt Fahrrädern noch mitzunehmen, und setzten uns zu den anderen Fahrgästen in den Mittelgang auf den Fußboden.
Die zweite Hürde war der Checkpoint an der Grenze zu West-Israel. Wir hatten nämlich alle beide unsere Reisepässe in Jerusalem vergessen und nur die Studentenausweise der Uni dabei – und waren wirklich skeptisch, ob das die Grenzbeamten überzeugen würde. Wir überlegten schon, wen in Jerusalem wir anrufen würden, damit er uns von der Grenze abholt… Als der Bus sich in die Autoschlange vor dem Checkpoint einreihte, wurde mir langsam wärmer. Plötzlich jedoch schien der Fahrer sich zu überlegen, dass er keine Lust mehr hatte zu warten, scherte aus der Schlange aus auf einen Seitenstreifen, schlängelte sich (ich hab wirklich selten einen Bus gesehen, der sich geschlängelt hat, aber hallo) an den Wachhäuschen vorbei und brummte freundlich grüßend an den Grenzbeamten vorbei Richtung Jerusalem, ohne noch einmal anzuhalten.
Mit immer noch einer ordentlichen Portion Adrenalin im Blut kam ich zuhause an, machte mir erst mal einen Tee und setzte mich an meine restlichen Hausaufgaben. Als eine Stunde später Douwe, mein niederländischer Mitbewohner, auch nach Hause kam, meinte er zu mir, dass ein Uni-Pass am Checkpoint problemlos ausgereicht hätte – wir wären ja nur im Siedlungs- und Touristengebiet gewesen und nicht in den eigentlichen palästinensischen Gebieten. Ich weiß noch immer nicht, ob ich ihm glauben soll… Ich glaube, ich werde den Reisepass das nächste Mal trotzdem mitnehmen.

Freitag, 2. November 2007

Freitag, 2. November 2007: Lesefrüchte zum Zuhören

An der Universität gab es viele komische ethnologische Klischees. Eins davon war, wie hoch doch die europäische Mathematik bei den alten Kulturvölkern in der Schuld stehe, man brauche sich ja nur die Pyramiden anzuschauen, deren Geometrie einem Respekt und Bewunderung abnötige.
Das ist natürlich als Schulterklopfen getarnte Idiotie. In der Wirklichkeit, die sie abgrenzt, ist die technologische Kultur souverän. Neben der Integralrechnung sind die sieben bis acht Faustregeln der ägyptischen Landmesser die reinste Rechenbrettmathematik.
Jean Malauri schreibt in „Die letzten Könige von Thule“, ein wesentliches Argument für das Studium der interessanten Polareskimos sei die Tatsache, dass man dadurch etwas über den Übergang des Menschen vom Neandertalerstadium zum Steinzeitmenschen lernen könne.
Das ist mit einer gewissen Liebe geschrieben. Aber es ist eine Studie über nicht erkannte Vorurteile.
Jedes Volk, das sich an einer von der europäischen Naturwissenschaft festgesetzten Notenskala messen lässt, steht immer als Kulturverbund höherer Affen da.
Das Notengeben ist sinnlos. Jeder Versuch, die Kulturen nebeneinander zu stellen, um zu bestimmen, welche davon am höchsten entwickelt ist, führt immer nur dazu, dass die westliche Kultur noch einen weiteren beschissenen Versuch unternimmt, den Hass auf ihren eigenen Schatten auf andere zu projizieren.
Es gibt nur eine Art und Weise, eine andere Kultur zu verstehen. Sie zu leben. In sie einzuziehen, darum zu bitten, als Gast geduldet zu werden, die Sprache zu lernen. Irgendwann kommt dann vielleicht das Verständnis. Es wird dann immer wortlos sein. In dem Moment, in dem man das Fremde begreift, verliert man den Drang, es zu erklären. Ein Phänomen erklären heißt, sich davon zu entfernen. Wen ich anfange, mit mir selber oder anderen von Qaanaaq zu reden, habe ich fast wieder verloren, was nie richtig mein gewesen ist.
Wie jetzt auf seinem Sofa, wo ich Lust habe, ihm zu erzählen, weshalb ich an die Eskimos gebunden bin. Dass es mit ihrer Fähigkeit zu tun hat, ohne jeden Zweifel zu leben mit dem Wissen, dass das Dasein sinnvoll ist. Dass es mit der Art und Weise zu tun hat, wie sie in ihrem Bewusstsein mit unvereinbaren Gegensätzen leben, ohne an deren Widersprüchen zugrunde zu gehen oder nach einer vereinfachenden Lösung zu suchen. Dass es mit ihrem kurzen, kurzen Weg zur Ekstase zu tun hat. Weil sie einem Mitmenschen begegnen und ihn so sehen können, wie er ist, ohne zu bewerten und ohne ihren klaren Blick durch Vorurteile trüben zu lassen.
All das drängt es mich, ihm zu sagen. Diesen Drang lasse ich jetzt wachsen. Ich spüre, wie er mir aufs Herz, auf den Hals, hinter die Stirn drückt. Ich weiß, dass das so ist, weil ich in diesem Augenblick glücklich bin. Nichts korrumpiert ja so sehr wie das Glück. Es lässt uns glauben, dass wir, wenn wir diesen Moment mit jemandem teilen, auch die Vergangenheit mit einschließen können. Wenn der Mechaniker stark genug ist, mir entgegenzukommen, kann er wohl auch meine Kindheit in sich aufnehmen.
Dann lasse ich los. Der Drang zu erzählen ist eine Spannung. Sie steigt empor und verschwindet durch die Decke, und der Mechaniker wird nie auch nur ahnen, dass sie existiert hat.
(Peter Hoeg: Fräulein Smillas Gespür für Schnee, 3. Teil, Kap. 1)

Samstag, 27. Oktober 2007: Ramallah

Spontan lass ich mich von Doro überreden, auf einen Tagestrip mit nach Ramallah zu kommen. Das liegt in der Westbank, nur 20 km nördlich von Jerusalem, eine knappe Stunde mit dem Bus. Es ist sozusagen die Hauptstadt der Palästinensischen Autonomie. (Von der man schon nach kurzen Gesprächen mit Palästinensern weiß, dass sie alles andere als autonom ist... Es ist gut, als Student in West-Israel auch einmal die andere Seite des Konflikts ein bisschen kennen zu lernen.)

Ich hab unseren Tagestrip in einer kleinen Fotostory verarbeitet.
27. Oktober 2007 - Ramallah

Montag, 29. Oktober 2007

Mo. 29. Oktober 2007: Semesteranfaenge

Letzte Woche hat das Wintersemester an der Hebraeischen Universitaet angefangen. Mit all seinen interessanten Begleiterscheinungen. Bis jetzt finden meine hebraeischen Veranstaltungen zum Teil noch gar nicht statt, denn die Professoren streiken. Sie wollen mehr Geld, da ihnen in den letzten zehn Jahren (u.a. auch durch die Inflation) der reale Lohn um 30 Prozent gekuerzt wurde. Die Regierung sagt, was wollt ihr eigentlich, ihr gebt doch eh nur 6 Stunden Unterricht in der Woche. Bei einem solchen freundlichen Verhandlungston kann der Streik wohl noch etwas dauern.
Unser Talmud-Einfuehrungskurs findet allerdings statt. In ihm habe ich in nur drei Stunden schon ein paar sehr typische Merkmale der juedischen Hermeneutik kennen gelernt.
Ein Merkmal ist eine staendige Rueckbesinnung auf die Mikrah, das Geschriebene, und den Literalsinn. Mehrfach in jeder Stunde (die eben, typisch juedisch, hauptsaechlich aus Diskussion besteht) hoert man den Satz vom Lehrer: "Aber das steht da so nicht geschrieben! Was haben wir hier geschrieben? Was steht da?" Es erinnert einen ein wenig an Luthers Anleitung zum
rechten Bibelstudium: "Du sollst die Schrift lesen und wiederlesen und nicht etwa glauben, dass Du sie nach zwei oder drei Mal Lesen ausgelernt hast... Da wird nimmer ein rechter Theologus draus."
Demgegenueber... muss ich jetzt ganz dringend zur naechsten Veranstaltung. Update folgt spaeter.

Mittwoch, 24. Oktober 2007

Mittwoch, 24. Oktober 2007: Lesefrüchte zum Zuhören

Er kocht für uns.
Es ist eine Art Gesetzmäßigkeit. Wenn man sich bei Leuten wohl fühlt, landet man in der Küche. In Qaanaaq wohnten wir in der Küche. Hier begnüge ich mich damit, in der Tür zu stehen. Seine Küche ist zwar geräumig, aber er füllt sie auch allein ganz gut aus.
Manche Frauen können Soufflé machen. Haben zufällig gerade ein Rezept für Mokkaparfait in ihrem Sport-BH. Können mit der einen Hand ihre Hochzeitstorte schichten und mit der anderen Pfeffersteak Nossi Bé machen.
Darüber sollten wir uns alle freuen. Solange das nicht heißt, dass wir anderen ein schlechtes Gewissen haben müssen, weil wir noch nicht mal mit unserem elektrischen Toaster auf du und du sind.
Er hat einen Berg von Fischen und einen Haufen Gemüse da. Lachs, Makrele, Dorsch, verschiedene Plattfische. Zwei große Krebse. Schwänze, Köpfe, Flossen. Außerdem Mohrrüben, Zwiebeln, Lauch, Wurzelpetersilie, Fenchel, Topinambur.
Er wäscht und kocht das Gemüse.
Ich erzähle von Ravn und Kapitän Telling.
Er setzt Reis auf. Mit Kardamon und Sternanis.
Ich erzähl ihm von den Vertraulichkeitsklauseln, die ich unterschrieben hab.
Von den Berichten, die Ravn hatte.
Er seiht das Gemüsewasser und kocht die Fischstücke.
Ich erzähle von den Drohungen. Davon, dass sie mich jederzeit verhaften können.
Er nimmt die Fischstücke nacheinander heraus. Von Grönland her erinnere ich mich gut daran. Aus der Zeit, als wir uns zum Essen kochen Zeit nahmen. Fisch hat ganz unterschiedliche Garzeiten. Dorsch ist sofort weich. Makrele später, Lachs noch später.
„Ich habe Angst vor dem Eingesperrt sein“, sage ich.
Die Krebse gibt er zuletzt hinein. Er lässt sie höchstens fünf Minuten mitkochen.
In gewisser Weise bin ich erleichtert darüber, dass er nichts sagt, mich nicht ausschimpft. Er ist der einzige, der weiß, wie viel wir wissen. Wie viel wir jetzt vergessen müssen.
Ich halte es für notwendig, ihm das mit der Klaustrophobie näher zu erklären.
„Weißt du, was hinter der Mathematik steckt?“, frage ich. „Hinter der Mathematik stecken die Zahlen. Wen mich jemand fragen würde, was mich richtig glücklich macht, dann würde ich antworten: die Zahlen. Schnee und Eis und Zahlen. Und weißt du, warum?“
Er knackt die Scheren mit einem Nussknacker und zieht das Fleisch mit einer gebogenen Pinzette heraus.
„Weil das Zahlensystem wie das Menschenleben ist. Zu Anfang hat man die natürlichen Zahlen. Das sind die ganzen und positiven. Die Zahlen des Kindes. Doch das menschliche Bewusstsein expandiert. Das Kind entdeckt die Sehnsucht, und weißt du, was der mathematische Ausdruck für die Sehnsucht ist?“
Er gibt Rahm und ein paar Tropfen Apfelsinensaft in die Brühe.
„Es sind die negativen Zahlen. Die Formalisierung des Gefühls, dass einem etwas abgeht. Und das Bewusstsein erweitert sich immer noch und wächst, und das Kind entdeckt die Zwischenräume. Zwischen den Steinen, den Moosen auf den Steinen, zwischen den Menschen. Und weißt du, wohin das führt? Zu den Brüchen. Die ganzen Zahlen plus die Brüche ergeben die rationalen Zahlen. Aber das Bewusstsein macht dort nicht Halt. Es will die Vernunft überschreiten. Es fügt eine so absurde Operation wie das Wurzel ziehen hinzu. Und erhält die irrationalen Zahlen.“
Er backt die Baguettes im Ofen auf und füllt Pfeffer in eine Mühle.
„Es ist eine Art Wahnsinn. Denn die irrationalen Zahlen sind endlos. Man kann sie nicht schreiben. Sie zwingen das Bewusstsein ins Grenzenlose hinaus. Und wenn man die irrationalen Zahlen mit den rationalen zusammenlegt, hat man die reellen Zahlen.“
Ich bin in die Küche getreten, um Platz zu haben. Man hat so selten die Möglichkeit, sich einem Mitmenschen zu erklären. In der Regel muss man darum kämpfen, zu Wort zu kommen. Und das hier liegt mir wirklich am Herzen.
„Es hört nicht auf. Es hört nie auf. Denn jetzt gleich, auf der Stelle, erweitern wir die reellen Zahlen um die imaginären, um die Quadratwurzeln der negativen Zahlen. Das sind Zahlen, die wir uns nicht vorstellen können. Zahlen, die das Normalbewusstsein nicht fassen kann. Und wenn wir die imaginären Zahlen zu den reellen Zahlen dazurechnen, haben wir das komplexe Zahlensystem. das erste Zahlensystem, das eine erschöpfende Darstellung der Eiskristallbildung ermöglicht. Es ist wie eine große, offene Landschaft. Die Horizonte. Man zieht ihnen entgegen, und sie ziehen sich immer wieder zurück. Das ist Grönland, und das ist es, ohne das ich nicht sein kann! Deshalb will ich mich nicht einsperren lassen.
Auf einmal bin ich vor ihm gelandet.
„Smilla“, sagt er. „Darf ich dich küssen?“
Wir machen uns wohl alle ein Bild von uns. Ich habe mich immer als Grobian mit großer Klappe gesehen. Jetzt weiß ich nicht, was ich sagen soll. Ich habe das Gefühl, dass er mich verraten hat. Nicht so zugehört hat, wie er es hätte tun sollen. Dass er mich im Stich gelassen hat. Andererseits tut er ja nichts. Er behelligt mich nicht. Er steht vor den dampfenden Töpfen und schaut mich nur an.
Mir fällt keine Antwort ein. Ich stehe bloß da und habe keine Ahnung, was ich mit mir anfangen soll, der Augenblick ist da, und dann ist er glücklicherweise vorbei.
(Peter Hoeg: Fräulein Smillas Gespür für Schnee, Buch 2, Kap. 1)

Freitag, 19. Oktober 2007

22. September 2007: Yom Kippur

Yom Kippur ist der höchste Festtag im jüdischen Jahreskalender. Es ist der Tag, an dem Gott Gericht hält über das letzte Jahr und die guten und die bösen Taten der Juden gegeneinander abwägt. Deshalb trägt man an diesem Tag ausschließlich schwarz und weiß - noch konsequenter als bei uns am Karfreitag.
Ich bin mit Markus und Martin am Vorabend in die Große Synagoge in den Yom-Kippur-Gottesdienst gegangen. Eine ganze Zeitlang dachte ich, es wäre der längste Gottesdienst meines Lebens gewesen - es waren etwa drei Stunden -, aber dann fielen mir die Silvester-Gebetsnächte ein, die ich mit dem Jugendkreis in Ostfriesland schon gemacht hab, die waren doch etwas länger. Aber es zog sich doch ziemlich in die Länge... vor allem ab dem Moment, in dem ich bemerkte, dass ich vermutlich auch noch vom hintersten Ende der riesigen Halle in dem einheitlichen Schwarzweiß einen leuchtenden Farbklecks in der Menschenmasse abgab - ich hatte nämlich in meiner Schusseligkeit ein orangenes Hemd angezogen.

22. September 2007: Yom Kippur


Die meisten religösen Juden finden sich mehr oder weniger mit der Hoffnung ab, dass Gott am Ende ganz sicher gnädig mit seinem Volk sein wird. Unter den Ultraorthodoxen hat sich jedoch unter vielen verschiedenen Sitten eine besonders interessante herausgebildet, um am Ende auf der sicheren Seite zu sein. Eine gewisse Lücke im jüdischen Glauben ist ja dadurch entstanden, dass es seit der Zerstörung Jerusalems 70 n.Chr. keinen Tempel und auch keine Opfer mehr gibt.
Diese Lücke wird teilweise durch das Ritual gefüllt, früh am Morgen von Yom Kippur ein Huhn zu schwingen. Das bedeutet tatsächlich, ein lebendiges Huhn mehr oder weniger liebevoll über dem eigenen Kopf und denen der Familie zu schwingen, um die eigenen Sünden auf das Tier zu laden. Danach wird das Tier geschlachtet und gegessen. Das Ritual wird von vielen Rabbinern abgelehnt, weil es sich eigentlich nicht groß von einem Opfer unterscheidet, und die sind eben ohne Tempel strikt untersagt. Außerdem ist es theologisch ja auch fragwürdig, das Huhn genüsslich zu verspeisen, auf das man gerade seine ganzen Sünden geladen hat. Einige Ultraorthodoxe verschenken das Huhn auch an Arme, statt es selbst zu essen. Eigentlich macht es das aber auch nicht besser, seine Sünden irgendeinem Armen anzudrehen...
Ziel und Zweck dieser Sitte ist es jedenfalls, am Ende des Tages selbst möglichst frei von Sünden dazustehen, um sich durch das große Gericht Gottes retten zu können.
Markus und ich haben uns kühn morgens um sechs aufgemacht und sind ins fromme Viertel Me'a She'arim spaziert, um ein paar Fotos von Hühner schwingenden Ultraorthodoxen zu schießen. Es war nicht ganz so einfach, weil diese erstens gerne unfreundlich zu überhaupt allen Nicht-Ultraorthodoxen sind und zweitens man ja auch noch so viel Pietät besitzt, sich nicht mit der Digicam mitten in so eine religiöse Zeremonie zu stellen... (Wer sich bei www.youtube.com ein bisschen umguckt, findet dort noch mehr und vielleicht auch noch anschaulichere Bilder und Videos.)

Am späten Nachmittag sind wir dann zur Klagemauer gegangen und haben den Gottesdienst dort aus nächster Nähe verfolgt. Die gesprochenen, gesungenen und geschrienen Bitten an Gott, doch bitte gnädig zu sein, werden immer intensiver und emotionaler, je näher die Minute des Sonnenuntergangs rückt. Dann wird ein letztes Mal die Shofar, das Horn geblasen, und der Richtspruch ist gefallen. Schlagartig schlägt die Stimmung in ein wahres Freudenfest um - eine Gruppe nach der anderen stimmt Freudesgesänge und Jubelgeschrei an, bis der Platz vor der Klagemauer wirkt, als hätten sich alle Fußballfans nach dem WM-Spiel um den dritten Platz vom Stuttgarter Schlossplatz schwarz-weiß angezogen und nach Jerusalem gebeamt.

Mittwoch, 17. Oktober 2007

Links zu meinen Fotoalben

Mein Leben in Bildern. Untertitel: Biographie in Auszügen*


Entdeckungen


Kuriositätensammlung


Sinai-Reise (Sep 2007)


gewidmet der hochversehrten Doro, geschiedene von und zu Dodohausen, auf einem von den sieben Bergen, die mich auf das Fehlen dieser Links hingewiesen hat

Montag, 15. Oktober 2007

Montag, 15. Oktober 2007: Einkäufe

Zu den wichtigsten Sachen, die ich nach unserer langen Reise machen musste, gehörten natürlich auch einige Einkäufe. Glücklicherweise hab ich schon am Freitag in Bet She’an daran gedacht, dass es ja schon fast Schabbat ist, wenn ich in Jerusalem ankomme, und noch mal bei einem Supermarkt vorbeigeguckt. Ich brauchte doch irgendwas zum Tee, wenn ich in Jerusalem ankam. :-) Im Supermarkt gab es einen Schokokuchen für 6 Schekel (ungefähr 1 Euro) und einen für 12 Schekel (ungefähr 2 Euro). Ich machte den Fehler und nahm den billigen… Es war glaub ich der schlechteste Schokokuchen meines Lebens.
Am Schabbat bin ich dann in die arabische Altstadt gegangen und hab mich noch ein bisschen nach Käse umgeguckt. Ich hatte schon einmal hiesigen gelben Käse gekauft und festgestellt, dass die Israelis wesentlich besser darin sind, weißen Käse zu machen, z.B. Schafskäse… Deswegen nahm ich diesmal eineingeschweißtes Paket importierten Käse aus den Niederlanden. „Die wissen doch, wie man Käse macht“, dachte ich. Pustekuchen. Wahrscheinlich ist es eine schlechte Raubkopie. Er schmeckt… brrr. Ich werde wieder auf Schafskäse umsteigen.
Schließlich suchte ich noch eine gute Stunde nach dem leckeren Beduinentee, den ich im Sinai öfter gekriegt hatte. Leider sind sich die verschiedenen arabischen Ethnien und Gruppen auch untereinander teilweise spinnefeind. Die Jerusalemer Araber können (wie viele andere) die Beduinen nicht leiden und verkaufen konsequenterweise auch keinen Beduinentee. Deshalb kaufte ich schließlich eine Tüte simplen Jerusalemer arabischen Tee, der in einem großen Jutesack vor einem der vielen kleinen arabischen Läden stand. Zuhause in der Küche fiel mir meine Tüte Tee versehentlich um und ein bisschen von den Teeblättern verteilte sich über die Arbeitsplatte. Ich wunderte mich eine Sekunde, was sich da zwischen den Teeblättern bewegte, bis ich merkte, dass es Ameisen waren. Interessant – die kamen aus dem Tee… Tee mit Ameisen. Ich schob kurzerhand die Hochrechnung beiseite, wie viele Ameisen sich wohl insgesamt in der Tüte befinden würden. Da ich weder die Ameisen einzeln aus dem Tee sammeln noch den ganzen teuren Tee wieder wegschmeißen will, trinke ich jetzt Tee mit Ameisen. Er schmeckt interessant, hat gewisse Ähnlichkeit mit Assam-Tees. Aber an den Beduinentee aus dem Sinai reicht er nicht ganz heran.

Samstag, 13. Oktober 2007

Samstag, 13. Oktober 2007: Wieder… zuhause?

Was macht ein Zuhause aus? Jedes Mal, wenn ich umziehe, rückt mir diese Frage unheimlich nahe auf die Pelle. Was macht mein Zuhause aus? Immer wenn ich Menschen, ein Zimmer, eine lieb gewonnene Umgebung zurücklassen muss, packt mich die Wehmut und das Gefühl, etwas unwiederbringlich verloren zu haben. Ich bin ein melancholischer Mensch… in den Zeiten, wo sich viel in meinem Leben verändert, merke ich es selbst immer am deutlichsten. Gleichzeitig drängt sich mir aber auch die unbarmherzige Gewissheit auf, dass ich doch ein Wanderer bin, der in dieser Welt keine endgültige Heimat finden wird. Oder ist dieser Gedanke vielleicht gar nicht so unbarmherzig, wie er sich oft anfühlt?
Ich konnte manchmal in den drei Wochen im Juli zwischen Leipzig, Ostfriesland, München und Jerusalem recht viel Trost darin entdecken, manchmal aber auch nicht. Ich wusste jedenfalls die ganze Zeit über, dass es mir wohl ziemlich schwer fallen würde, mich ohne so viele gute Freunde, ohne meine Leipziger WG, ohne meine eigene Zimmereinrichtung irgendwo halbwegs „zuhause“ zu fühlen. Vielleicht kann es nicht jeder so gut verstehen, aber meine Bücher, mein Schreibtisch, mein kleines improvisiertes Teetischchen aus Umzugskarton und einem großen Stück dunkelblauen Stoff – sie haben mir in Leipzig unheimlich viel „Zuhause“ gegeben.
Als ich in Jerusalem nachts um drei in ein kahles, weiß gestrichenes und karg möbliertes Zimmer mit einer Neonröhre als Beleuchtung trat, trat mir diese Frage wieder mit Macht vor Augen: „Kann das für ein Jahr mein Zuhause werden??“
Ich war sehr froh, dass ich – mehr aus einer ungewissen Idee heraus – einige Postkarten mitgenommen hatte, die schon in Leipzig an Wänden und Zimmertür hingen. Als vorläufige Zimmerdeko erzählen sie mir mit vielen vertrauten Erinnerungen beharrlich, aber liebevoll und immer wieder, dass dies Zimmer tatsächlich „meins“ ist… mein Zuhause… zumindest für ein Jahr.
Als ich vor vier Wochen am letzten Abend meiner Sinai-Reise noch einmal am Strand saß, erwischte ich mich selbst plötzlich bei dem Gedanken, dass ich jetzt wieder nach „Hause“ zurückkehren würde – wieder in meinem eigenen Bett schlafen, wieder in meinem eigenen Zimmer wohnen würde. In der Tat, es fühlte sich schon wesentlich stärker danach an, nach Hause zu kommen, als ich wieder einmal mitten in der Nacht den Schlüssel in der Wohnungstür umdrehte und die Klinke meiner Zimmertür drückte. Das gleiche passierte mir dann in den letzten Tagen noch öfter, wenn ich mich gegen Ende unserer Nordisrael-Reise auf meine eigenen vier Wände freute. So was…
Jetzt sitze ich in meinem, tatsächlich „meinem“ Zimmer und lese beim Tee weiter „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“, das ich schon vor unserer Reise angefangen hatte. 12 Tage sind Markus, Anika und ich an der Mittelmeerküste auf und ab gewandert und am See Genezareth Jesu Fußstapfen nachgegangen. Eine Woche habe ich jetzt noch, um mich etwas zu sortieren, E-Mails zu beantworten und Fotos ins Internet zu stellen. Dann geht das Wintersemester los und legt mir wieder eine stramm strukturierte Woche vor.
Natürlich bin ich erst mal in das übliche Loch gefallen, dass ich gar nicht wusste, wo ich anfangen sollte vor lauter Freizeit und wollte-ich-schon-längst-mal-machen. Dabei merke ich deutlich, was meine Zimmerdeko nicht leisten kann. Ich vermisse gute alte Freunde, die mich seit Jahren kennen, die mich nehmen, wie ich bin, die wissen, wie man mir zuhört, bei denen ich – zuhause bin. Unsere deutsche Gruppe von Studenten hier in Jerusalem ist okay, ich verstehe mich mit allen ganz gut oder sogar besser. Es gibt eben nur Sachen, für die braucht man gute alte Freunde. Auch E-Mail und Telefon, Skype und ICQ sind nicht das gleiche wie ein Spaziergang zu zweit im Grünen oder ein gutes Bier auf dem Balkon. Gute alte Freunde sind ein großer Bestandteil von „Zuhause“… Freunde, Ihr fehlt mir!

„Nur wenige Menschen können zuhören. Ihre gehetzte Eile zieht sie aus dem Gespräch heraus, oder sie versuchen innerlich, die Situation zu verbessern, oder sie überlegen sich ihren Auftritt für den Moment, in dem man selber die Klappe hält, damit sie sich nun ihrerseits in Szene setzen können.
Mit dem Mann vor mir ist das anders. Wenn ich rede, hört er unzerstreut zu, was ich sage, und nichts sonst.“
Peter Hoeg: Fräulein Smillas Gespür für Schnee, Kap. 7.

„Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“
Hebräer 13, Vers 14.

Dienstag, 25. September 2007

Montag, 24. September 2007: Kinoabend zur Belohnung

Nach einem richtig anstrengenden Intensiv-Sprachkurs, was gönnt man sich da zur Belohnung? Genau, einen richtig entspannenden Kinoabend mit einem richtig klassischen Hollywood-Thriller. Deshalb sind Markus, Doro und ich gestern Abend bis nach Malcha in die Südstadt rausgefahren und haben uns in der Spätvorstellung The Bourne Ultimatum angetan.


Statt der angekündigten 5 Dollar Eintritt haben wir ungefähr das Doppelte bezahlt und nachts dann auch noch ein Taxi nehmen müssen, weil wir den letzten Bus um 10 Minuten verpasst hatten. Aber Spaß hatten wir trotzdem nicht zu knapp. Man könnte sogar sagen, dass wir uns mit einer gewissen Aura dekadenter Belustigung umgaben… Prinzenrolle und Plüschsessel sind nu wirklich nichts Alltägliches.

Sonntag, 23. September 2007

Sonntag, 23. September 2007: Eigentlich sollte ich für den Abschlusstest morgen lernen.

„Aus den Randnotizen kann man etwas über seine Mitmenschen erfahren.“, wusste schon Fräulein Smilla. (Peter Høeg, Fräulein Smillas Gespür für Schnee, Kapitel 5) Ich stimme ihr aus ganzem Herzen zu – ich würde sogar so weit gehen, dass „Randnotizen“ ganz herrliche, wenn nicht sogar die tiefsten Einblicke in die Menschen überhaupt erlauben. Was erfährt man nicht alles über sich, wenn man alte Schulhefte wiederfindet…
Fast noch interessanter ist allerdings meistens das, was die Randnotiz nicht erzählt – und was für immer und ewig verloren scheint. Es kann einen manchmal richtiggehend verrückt machen. Am großartigsten sind natürlich Randnotizen von internationalem Interesse… zum Beispiel Fermats Bemerkung über seinen „verschwundenen Beweis“.
Wenn in der Schule der Satz des Pythagoras (beim rechtwinkligen Dreieck gilt: a2 + b2 = c2) eingeführt wird, benutzt der Lehrer meistens die Zahlen 3, 4 und 5 für die Seitenlängen des Dreiecks, da sie so glatt aufgehen. Diese Gleichung geht aber auch noch mit erstaunlich vielen (genauer gesagt: unendlich vielen) anderen Ganzen Zahlen auf, z.B. mit 15, 36 und 39. Allerdings mit keiner einzigen Konstellation von Ganzen Zahlen, wenn der Exponent ein anderer ist als 2.
Diese Behauptung hat nun der Herr Fermat schon 1637 aufgestellt. Unverschämterweise hat er seinen Beweis nicht der Nachwelt hinterlassen. In seiner Ausgabe der „Arithmetica“ von Diophantos findet sich neben dem Satz des Pythagoras einzig und allein folgende hübsche Randbemerkung:
„Cubum autem in duos cubos, aut quadratoquadratum in duos quadratoquadratos, et generaliter nullam in infinitum ultra quadratum potestatem in duos eiusdem nominis fas est dividere. Cuius rei demonstrationem mirabilem sane detexi. Hanc marginis exiguitas non caperet.“
Auf deutsch:
„Es ist unmöglich, einen Kubus in zwei Kuben zu zerlegen, oder ein Biquadrat in zwei Biquadrate, oder allgemein irgendeine Potenz größer als die zweite in Potenzen gleichen Grades. Ich habe hierfür einen wahrhaft wunderbaren Beweis gefunden, doch ist der Rand hier zu schmal, um ihn zu fassen.“
1994 konnten die Mathematiker Wiles und Taylor ein Beweis für diesen Satz erbringen. Allerdings verwendeten sie dazu Mittel, die Herrn Fermat vor 370 Jahren keinesfalls zur Verfügung standen.
Was bleibt? Vorläufig nur eine Randbemerkung.

Dienstag, 18. September 2007

Dienstag, 18. September 2007: Schlafen?

Bin vollkommen übermüdet. Natürlich nicht ohne Grund: Doro (eine andere deutsche Studentin hier) und ich sind über das vergangene lange Wochenende für vier Tage in den Sinai gefahren. Wir haben todesmutig den Djebel Musa, den Berg des Mose im Dunkeln erklommen und oben übernachtet, um morgens um halb sechs den sagenhaften Sonnenaufgang beobachten zu können. Nach dieser Nacht waren wir so urlaubsreif, dass wir uns noch zwei Tage Strandfaulenzen in einem wahrhaft kitschigen Camp an der Küste gegönnt haben. Leider gab’s auch dort tolle Sonnenaufgänge, so dass ich also mein Schlafdefizit nicht wieder richtig aufgeholt habe… Bin seit drei Tagen heile zurück und sehne mich schon sehr nach dem kommenden Wochenende. Danach kommen die beiden Abschlusstests meines Sprachkurses, dann ein fünftägiges Blockseminar und dann mach ich mich vielleicht mit drei anderen Studenten wieder auf die Socken, diesmal nach Nordisrael… Geschlafen wird nächstes Jahr wieder.

Samstag, 8. September 2007

Samstag, 8. September 2007: Komm zur Sache, Mann!

Seit zwei Wochen bin ich youtube-süchtig. Wer nicht weiß, was das ist, schätze sich glücklich… Das Surfen in Tausenden von (leider) mächtig interessanten Musikvideos von lauter tollen Bands lenkt mich beharrlich von allen anderen wichtigen Dingen ab. Die Hausaufgaben wachsen mir seit diesen zwei Wochen wirklich unheimlich über den Kopf. Vor lauter Überarbeitung (und youtube...) beantworte ich keine E-mails mehr, pflege meinen Blog nicht mehr, stelle keine Fotos mehr ins Internet und schlaf jetzt wirklich bei weitem nicht mehr genug.
Und das Ende naht mit seinen Schrecken – Abschlusstests! Aber auch gut ist, dass ich das Ende überhaupt schon sehen kann. Die letzte Woche war einfach Mist, und ich war froh, als ich Donnerstag Abend endlich Wochenende hatte. Gestern Abend waren wir deutschen Studenten hier zu verschiedenen jüdischen Familien zum Schabbat-Diner eingeladen. Das war ein sehr schöner Abend. Und was noch wichtiger ist: Es gab endlich wieder mal was richtig Gutes zu essen! Hab mich mächtig vollgefressen (sehr stilvoll natürlich) und seit langer Zeit mal wieder ein Völlegefühl genossen. Morgen früh geht’s wieder los.
Von Mittwoch bis Samstag ist hier frei, weil das jüdische Neujahr dann groß gefeiert wird. Dann will ich mit einer anderen Studentin für vier Tage einen Trip auf die Sinai-Halbinsel unternehmen. Das tut meinen Hausaufgaben auch nicht gut, aber man will ja auch mal was anderes sehen als den Schreibtisch – bei aller Liebe, also wirklich!
Fazit: Ende in Sicht! Spätestens in zweieinhalb Wochen melde ich mich wieder ausführlicher…

Samstag, 18. August 2007

Dienstag, 14. August 2007: Ungeplanter Zwischenfall

Bin am Montag Abend verfrüht ins Bett gegangen, weil mir nicht gut war. Am Dienstag früh wusste ich dann auch, warum: Ich hatte dröhnende Kopfschmerzen und Fieber. Gefrustet hab ich Dienstag und Mittwoch im Bett verbracht, bis es mir am Donnerstag wieder besser ging. Drei Tage Uni verpasst. Nicht gut. Dafür darf ich am Montag um vier Uhr – nach dem langen Uni-Tag und einem Test im Lektürekurs – noch den wöchentlichen Test nachholen, den ich am Donnerstag verpasst habe. Mal sehn was DA wohl bei rauskommt...

Montag, 13. August 2007: Mission impossible

Hurra! Ich hab wieder eine Mission! Sie lautet: Verkehrserziehung. Gestern hab ich mir endlich ein Fahrrad gekauft. Heute Morgen bin ich dann gleich damit zur Uni auf den Har haZofim, den Mount Scopus gefahren. Erstaunlicherweise geht es erst mal ganz schön weit abwärts, bis ich dann auch bergauf fahren muss. (Heißt, der Heimweg ist dann nach dem langen Uni-Tag noch nicht mal so erholsam wie ich dachte.) Aber was soll’s. Ich kam fünf Minuten zu spät, weil ich dauernd angehalten habe, um auf der Karte nachzugucken, ob ich mich auch nicht verfahren habe. Habe ich aber nicht. Dafür dann auf dem Rückweg, als ich nicht mehr so oft auf die Karte guckte. Für den Hinweg brauchte ich eine halbe Stunde (und ich bin seeehr langsam gefahren), für den Rückweg eine ganze.
Es war ein unglaublicher Genuss, wieder Fahrrad zu fahren. Ich kam voller Adrenalin und Glückshormone in der Uni an. Rad fahren ist SUPER! Ich bin ein Radfahrer. Die erste Aufgabe meiner Verkehrserziehung muss es sein, dass die Israelis Radfahrer SEHEN lernen. Es ist ein unheimliches Gefühl: Sie SEHEN dich nicht. Israelische Autofahrer sind es gewohnt, im Augenwinkel ungefähr wahrzunehmen, ob ein Auto kommt, das größer ist als das eigene, und fahren dann gewöhnlich auch schon los. So unwichtige Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer sehen sie nicht. Man existiert in einem gewissen Sinn nicht, weil man zu unbedeutend ist. Das macht einen gewissen Reiz aus, es ihnen beizubringen.
Es gibt überhaupt nur eine einzige schlimme Stelle auf meiner Strecke, genauer auf dem Rückweg. An ihr treffen mehrere Ungunstfaktoren mit überzeugender Macht aufeinander. Es ist die steilste Stelle der Strecke und gleichzeitig eine der engsten, an der sich nachmittags auf dem Rückweg der Verkehr furchtbar staut. Kilometerlang so hinter den Bussen herzuzuckeln, die man unmöglich überholen kann und die einem bei jedem Mal Anfahren dicke schwarze stinkende Diesel-Qualmwolken ins Gesicht pusten, ist ein atemberaubendes Erlebnis. In diesen Momenten bereut man es, mit dem Fahrrad hinter einem Bus zu stehen und nicht – genau wie alle anderen Jerusalemer – dicht gedrängt in diesem vollklimatisierten Bus zu sitzen oder zu stehen und gelangweilt die Fußgänger, Autos oder die seltenen Verrückten mit ihren Fahrrädern da draußen zu beobachten.

Samstag, 11. August 2007

Samstag, 11. August 2007: Teekanne - was will man mehr?

Samstag Abend. Das Wochenende ist fast vorbei, denn in Israel beginnt die Arbeitswoche natürlich am Sonntag Morgen. Ich habe ein sehr entspannendes und teilweise auch sehr erfolgreiches Wochenende hinter mir. Das war auch nötig, denn die letzten fünf Tage Uni haben mich ziemlich geschlaucht. Dadurch ist mein Ostfriesenteekonsum auch schwupps wieder auf das alte Leipziger Maß gestiegen. Wenn man nachmittags total fertig von der Uni kommt und einem der Kopf brummt von sechs Stunden hebräischem Gerappel, geht einfach nix über eine ordentliche Kanne Tee, das beruhigt die Nerven und tut der Seele gut. Leider wird mein Vorrat deswegen nicht mal bis Weihnachten reichen. Ich muss wohl doch irgendwann einmal ein Paket ordern…

Freitag, 10. August 2007: An der Mauer

Der Tag begann sehr gut mit – Ausschlafen. Ich bin in der Woche noch nicht wieder ganz im Schulrhythmus und abends immer noch so lange wach, dass ich nur fünf bis sechs Stunden Schlaf jede Nacht habe. Das ist eindeutig zu wenig, wenn Du mich fragst. Dann telefonierte ich eine Viertelstunde lang auf hebräisch mit englischen Anleihen mit einer Gesellschaft, deren Namen ich immer noch nicht kenne. Aber jetzt kann ich für gar nich mal so teuer auch ins Ausland telefonieren. Dann hab ich nach diesem Kraftakt erst mal Pause vom Arbeiten gemacht.
Am Abend hab ich mich aufgemacht und den „kotel“, die „Mauer“ besucht. Die Klagemauer trägt das Plateau, auf dem früher der jüdische Tempel stand – und heute der Felsendom und die Al-Aqsa-Moschee. Ich lief durch das muslimische Viertel und sah unterwegs noch drei andere Gruppen von Menschen: erstens arabische Kinder, die auf der Straße spielten – vermutlich Kinder von arabischen Christen, denn die Muslime feiern Freitag abends ihr Feiertagsende und die Juden den Feiertagsanfang, da is nix mit auf der Straße spielen. Zweitens orthodoxe Juden, die mit mir in Richtung Klagemauer pilgerten. Und drittens an jeder Straßenecke ein Pärchen Soldaten mit der MG im Arm, die dafür sorgen sollen, dass sich die jüdischen und muslimischen braven Gottesdienstgänger auf dem Weg zum oder vom Gottesdienst nicht in die Haare kriegen.
Jeden Freitag Abend zum Schabbat-Anfang versammeln sich Tausende von frommen Juden am Fuß des Tempelberges und feiern einen stimmgewaltigen Gottesdienst. Drei Viertel der Teilnehmer sind orthodoxe Juden. Sie sind leicht zu erkennen, da die Männer alle (!) einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und fast alle auch einen schwarzen Hut tragen; nur die Länge des Anzugjacketts darf offensichtlich variieren. Man wird als harmloser Tourist sofort identifiziert. Wenn man sich nicht wirklich pietätlos benehmen will, kann man sich nur noch auf die breite Treppe setzen, die vom Haupteingang auf den hell erleuchteten Platz führt. Es ist ein imposanter Anblick. Was hat diese Mauer für eine mächtige Wirkung auf eine ganze Nation, eine ganze Religion! Was trägt diese Mauer für eine Macht, für einen weltpolitischen Zündstoff in sich…



Leider ist das Bild etwas verschwommen, weil man am Sabbat hier gar nicht knipsen darf. Deshalb musste ich es recht schnell und ohne große Stützen machen.
Man sieht recht deutlich, wie direkt vor der Mauer die Farben schwarz (eher links) und weiß (weiter rechts) dominieren. Links ist nämlich der Bereich für die Männer, rechts der für die Frauen (die auch recht konform in weißen oder beigen Kleidern rumlaufen).



Ich hab nach einiger Zeit noch zwei Mädels angesprochen, die auch auf der Treppe saßen und mir verdächtig… deutsch aussahen (obwohl ich das gar nicht an bestimmten Merkmalen festmachen konnte). Tatsache – es waren zwei Theologiestudenten aus Münster, die ab dem nächsten Tag bei einer Ausgrabung von Prof. Oeming aus Heidelberg mitarbeiten würden. Die Welt ist ein Dorf, wenn man es auch nicht immer gleich auf den ersten Blick sieht. Wunderte mich ein bisschen, ob ich auch so einfach als Deutscher zu identifizieren war. Meine Nationalität macht mir ja gar nicht so viel aus, aber ich will nicht mit dem ersten Blick in einem Topf mit den ganzen Touristen landen.

Montag, 6. August 2007

Montag, 6. August 2007: Foto der Woche



Der Innenhof des Schwedisch-Theologischen Instituts, wo wir häufig im Schatten sitzen, Gruppenbesprechungen haben oder auch unseren Kurs "Einführung in den Siddur". Netter Ort, da gibt es auch Tee und Kaffee umsonst für uns.





Gewürzpyramide auf dem Schuq (Markt) in der Altstadt. Sehr kunstvoll, nich?

Montag, 6. August 2007: Ein jeder Tag hat seine eigene Erkenntnis

Heute war der vierte Sprachkurs-Tag. Seit Donnerstag ist ja mein Tagesablauf vollständig von diesem Sprachkurs beherrscht. Vormittags sitze ich mit den anderen dreizehn Studenten in einem kleinen unterkühlten Raum in der Uni, nachmittags und abends mache ich zu Hause Hausaufgaben. Bis jetzt hatte interessanterweise auch jeder Tag seinen ganz eigenen Reiz und auch seine eigenen Erkenntnisse.
Am ersten Tag war – nicht weiter ungewöhnlich – alles neu. Und – das allerdings fand ich ungewöhnlich – der Sprachkurs war bei weitem nicht so schlimm wie ich zuerst dachte. Ich verstand zwar nix, aber die beiden Lehrerinnen für unsere Klasse sind freundlich und die Hausaufgaben waren auch ohne ihre Erklärungen (die ich ja nicht verstand) verständlich.
Am zweiten Tag, Freitag, stellte ich fest, dass danach schon wieder das Wochenende kam. Auch schön, sehr gnädig. Die Situation, dass man den halben Tag Hebräisch zuhören und die andere Hälfte des Tages Hebräisch schreiben muss, ist ja doch ein bisschen ungewohnt und anstrengend. Außerdem freute ich mich, dass ich tatsächlich FAST alle Hausaufgaben am Freitag schaffte.
Als ich dann gestern, Sonntag, aus dem kurzen Wochenende wieder in den Sprachkurs kam, freute ich mich, dass ich manche Sätze der beiden Jungs, die den Schnabel nicht still kriegen, sogar schon verstehen konnte. Und das Beste war: Sie haben einen genauso gruseligen Satzbau wie ich, nur kümmert es sie scheinbar überhaupt nicht. Sie können überhaupt nicht tausendmal besser Hebräisch als ich, sie sind nur wesentlich frecher. Leider stellte ich nach dieser aufbauenden Erkenntnis in der dritten und letzten Doppelstunde fest, dass das Leben doch nicht so schön ist. Wir hatten urplötzlich eine fremde Lehrerin im Klassenraum stehen. Sie redete vom ersten Moment an so schnell, wie ich noch nie einen Menschen hab reden hören. Es wurde einem schwindelig nur vom Zuhören, an den Versuch, etwas zu verstehen, war nicht zu denken. Sie rauschte mit uns durch einige Seiten unseres Übungsbuches, ich vermute, um die Hausaufgaben zu erklären. Zum Glück schrieb sie die Hausaufgaben auch an die Tafel. Das raubte mir die letzten Illusionen. Es waren so viele Hausaufgaben, wie Du noch nie in Deinem Leben aufgekriegt hast. Ich hab bis abends um halb zehn nicht die Hälfte davon fertig gekriegt.
Heute, am vierten Sprachkurs-Tag, war dann alles wieder gut. Seltsam: Ich konnte plötzlich unsere beiden Lehrerinnen Nora und Tali verstehen! Sie redeten so langsam… Hatten sie Mitleid mit uns bekommen? Ich verstand längst nicht jedes Wort, aber ich wusste den ganzen Tag lang immer, worum es gerade ging! Nur die Sache mit den Hausaufgaben hat sich irgendwie noch nicht in wunderbare Zuckerwatte aufgelöst. Aber vielleicht ist ja morgen meine „Erkenntnis des Tages“, dass die ganzen vielen Hausaufgaben alle total einfach und zick-zack erledigt sind…?

Samstag, 4. August 2007

Samstag, 4. August 2007: Schabbat

Heute ist Schabbat, der jüdische wöchentliche Feiertag. Das bedeutet Uni-frei! Denn am Schabbat dürfen die Juden nicht arbeiten, und das nehmen sie sehr ernst. Zum Beispiel ist es nach orthodoxer Meinung offensichtlich auch Arbeit, eine Tür aufzuschließen. Deswegen ist wohl heute an unserer Haustür der Schnapper offen, so dass die Tür auch ohne Schlüssel einfach aufgedrückt werden kann. Das macht es Dieben am Schabbat natürlich leicht, falls sie ein von frommen Juden bewohntes Haus plündern wollten, während die Bewohner gerade ihren. Aber wahrscheinlich ist Klauen auch Arbeit und am Schabbat nicht erlaubt. Außerdem dürfen Juden am Schabbat nicht allzu viele Schritte machen und kommen deswegen gar nicht so weit, dass Wohnungsplünderer ausreichend Zeit zum Plündern hätten… Mache mir also trotz der Offenheit meiner Mitbewohner um mein Hab und Gut in der Wohnung erst mal keine Sorgen.
Es ist Abend, ich sitz mal wieder auf der Fußgängerzone und nutze die kostenlosen Internetzugänge per W-LAN. Der israelische Tag beginnt und endet abends mit dem Sonnenuntergang. Das bedeutet, jetzt ist gerade der Schabbat vorbei. Deshalb dürfen auch die Läden wieder aufmachen, und die um sieben Uhr noch wie leergefegte Fußgängerzone rüstet sich jetzt um acht Uhr wieder zum Auftakt ins Nachtleben... Die Straßenmusiker sichern sich mit Gitarren und Bongotrommeln die besten Plätze und die israelischen Jugendlichen scheinen nur darauf zu warten, dass die zahlreichen Falaffel-Buden und Schnapsläden wieder aufmachen.
Wer möchte, darf auch gerne mal bei mir anrufen. Ich kann zwar noch nicht ins Ausland telefonieren, aber anrufbar müsste ich eigentlich sein. Meine Festnetz-Telefonnummer aus Deutschland lautet 00972-2-6243851. Gute Billig-Vorwahlnummern sind 01017- und 01027, die kosten beide (zur Zeit!) 2 ct/min. Man kann die aktuellen unter www.billiger-telefonieren.de/festnetz/schnellrechner nachgucken. Meistens bin ich zwischen vier Uhr nachmittags und neun Uhr abends zu Hause und versuche meine Berge von Hausaufgaben aus dem Sprachkurs zu erklimmen.

Freitag, 3. August 2007: Stromausfall

Heute Nachmittag um ein Uhr ist in der ganzen Stadt der Strom ausgefallen. Das passiert im Sommer hin und wieder, wenn alle ihre Klimaanlage auf 13 Grad stellen. Diesen Sommer war es erst einmal passiert, und die Jerusalemer sind wohl auch ganz stolz darauf. Heute also das zweite Mal. Ich hatte um viertel nach eins Uni-Schluss und bin dann mit dem Bus nach Hause gefahren. Ich konnte also hautnah erleben, dass sich der Stromausfall längst nicht so schlimm auf den Verkehr auswirkt wie man bei der kopflosen israelischen Mentalität meinen könnte. Der Bus braucht zwar statt 20 Minuten 40 von der Uni zu mir nach Hause. Aber auf den zweiten Blick verhalten sich die Jerusalemer Verkehrsteilnehmer ohne Ampeln eigentlich nicht anders als mit Ampeln. Sie stehen entweder mit dem Fuß auf dem Gas oder auf der Bremse. Stehen sie auf der Bremse, ist die Hand synchron auf der Hupe. Ob dabei die Ampeln hin und wieder zwischen den Farben grasgrün, sonnengrün und kirschgrün wechseln oder – eben bei Stromausfall – alle gleichzeitig in freundlichem sonnengrün blinken, stört niemanden.

Donnerstag, 2. August 2007

Donnerstag, 2. August 2007

Sitze genau wie die letzten drei Tage auf der Fußgängerzone Ben Jehuda. Das könnte echt mein Standard-Feierabend werden. Hier herrscht das pralle Leben. An jeder Ecke Leute mit Gitarre, Bongotrommeln und Mundharmonikas. Tausende von Jugendlichen und Jung gebliebenen… mit und ohne Alkohol. Aber das beste: Hier gibs einige freie Wireless Internetzugänge. So hab ich tolles Hintergrundprogramm und kann gleichzeitig E-mails schreiben und endlich mal meinen Blog in Schwung bringen. Und, isses wenigstens halbwegs interessant, was ich bis jetzt so schreibe?
Mein erster Tag im Sprachkurs heute war prima. Es ging aber auch erst um elf Uhr los, morgen früh starten wir schon um halb neun. Da sieht dann vielleicht alles schon wieder etwas anders aus… Meine Klasse ist schön klein, so dass man auch hin und wieder dran kommt und was gefragt wird – auf Hebräisch natürlich, in einem Affentempo und garantiert bei den Themen, bei denen man grade gar nix verstanden hat. Zudem sitzen noch zwei Jungs aus Russland und aus Turkmenistan mit drin, die die ganze Zeit redenFragenstellenAnmerkungenmachenundschonwiederredenbevormannurdenMundaufgemachthatumselbermal eine Frage zu stellen – offensichtlich haben sie Hebräisch ausschließlich mündlich gelernt. Keine Chance also, mal bei den Fragen zu Wort zu kommen, bei denen man etwas sagen KÖNNTE. Aber nu! Wenigstens heute Nachmittag bei den Hausaufgaben war ich mein eigener Herr. Bis zehn Uhr hab ich gearbeitet und sogar fast alles fertig gekriegt.Stelle grade mit schon ziemlich müdem Kopf fest, dass wir freitags mit dem Sprachkurs früher aufhören. So weit, so gut. Allerdings sind wir hier in Israel, deswegen ist nur der Sabbat frei und am Sonntag geht’s schon wieder weiter. So weit nicht mehr so gut. Kann also weder sonntags zum Gottesdienst gehen (es sei denn, ich finde einen am Abend) noch so richtig lange Wochenende spielen… Man ist in Deutschland schon ziemlich verwöhnt mit zweieinhalb Tagen Wochenende.

Montag, 30. Juli 2007

Ein überaus erfolgreicher Tag liegt hinter mir. Ich habe auf einem israelischen Markt ordentlich Obst und Gemüse eingekauft, einen neuen Telefon- und Internetanschluss für mein Zimmer beantragt, mir selbständig ein Mittagessen gekocht, mir eine israelische SIM-Karte fürs Handy zugelegt, bin mit meinem neuen Laptop zweieinhalb Stunden per Wireless LAN im Internet gewesen, eine schon fast fertige Rundmail an alle sensationslüsternen Freunde in Deutschland geschrieben und einen ganzen Haufen E-mails beantwortet. (Wehe, Du fragst, warum Deine noch nicht dabei ist. Damit noch was für die nächsten Tage zu tun bleibt, hab ich sie und die Eroberung Jerusalems erst mal auf morgen verschoben.)
Habe mir voller Stolz die ersten „richtigen“ Anerkennungspunkte für echt israelisches Verhalten erarbeitet. Bin von einem Auto angehupt worden, als ich die Straße überquert habe. Die Straße zu überqueren ist hier eine der Sachen, die so richtig nach meinem Geschmack sind. Endlich behandeln einmal alle Menschen die Verkehrszeichen und Ampeln so, wie sie eigentlich gedacht sind: als reine Vorschläge, wie man sich unter Anderem AUCH verhalten könnte.Heute Abend waren wir noch einmal in der Stadt, um uns ein gemütliches kleines typisches israelisches Lokal zu suchen und uns auf das Jahr vor uns einzustimmen. Sind schließlich in Ermangelung von Alternativen in den Irish Pub gegangen und haben unglaublich teure Guiness und Cola getrunken. Lechajim!

Sonntag, 29. Juli 2007: Endlich angekommen

Entgegen meiner großspurigen Versprechen in meiner Rundmail („Jerusalem, nimm Dich in Acht! Ein Ostfriese kommt Dich erobern.“) bin ich heute Nacht wohl eher wie ein übernächtigter und überladener Fußsoldat im Gelobten Land eingetrudelt. Als der Flieger (für München reeelativ pünktlich) ungefähr um 20 Uhr startete, war ich noch ziemlich aufgeregt. Als er um halb eins Jerusalemer Zeit landete, wusste ich schon, dass ich eigentlich nur noch irgendwo alle Viere von mir strecken wollte. Aber noch war es nicht so weit… Ich hatte vorher noch ein paar Sachen zu lernen.
Die erste wichtige Lektion, die für meine persönlich-charakterliche Entwicklung wohl irgendwie so furchtbar wichtig war, dass sie nicht bis zum nächsten Tag oder von mir aus bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten konnte, war folgende: Das Sperrgepäck, wozu wegen Übergröße auch meine heiß geliebte Gitarre Josy gehörte, wird am Flughafen in Tel Aviv an einer anderen Stelle zurückgegeben als die Koffer und Taschen. Nicht nur wegen Josy war das unangenehm, sondern auch weil in der Gitarrentasche die Haus- und Wohnungstürschlüssel für meine Wohnung in Jerusalem waren. Es kostete mich ca. eine halbe Stunde und anderthalb Bündel Nerven, bis wir alle wieder glücklich vereint waren.
Die zweite Lektion lautete, dass israelische Taxifahrer einem nicht immer die Wahrheit sagen, wenn sie was verdienen wollen. Ich fand nicht auf Anhieb ein Sherut-Taxi. Diese freundlichen Gefährte bringen immer mehrere Leute zu einem festen Preis von 45 Schekel pro Person (umgerechnet 8 Euro) die 60 km von Tel Aviv nach Jerusalem. Deshalb geriet ich an einen Einzeltaxifahrer, der mir die Fahrt für 360 Schekel anbot. Wer den Dreisatz aus der fünften Klasse noch beherrscht, darf sich selber ausrechnen, wie er mich geschröpft hat… Ich handelte ihn auf 350 Schekel runter (was mir heute, wo ich wieder wach bin, nicht mehr als Glanzleistung meiner Feilschkunst vorkommt. Aber da ich so müde war, merkte ich es nicht. Erst als mir auf der Taxifahrt einfiel, dass ich ja einfach am Flughafen jemanden hätte suchen können, der auch nach Jerusalem will, und mir das Fahrtgeld mit ihm hätte teilen können, fing ich an, mich über meine altbekannte Schusseligkeit zu ärgern.Dafür, dass ich die Lektion trotzdem brav und demütig über mich ergehen ließ, landete ich dann auch bald – sprich: um halb drei nachts – und ohne weitere Komplikationen vor meiner neuen Adresse. Durch Ausprobieren fand ich heraus, welche der vielen Haustüren meine „Knisat Gimel“ (zu deutsch: Eingang C) war. Ich hoffe, dass niemand beim Ausprobieren Angst gekriegt hat, eine ostfriesische Räuberbande wolle seine Tür knacken und die Wohnung plündern. Ohne noch groß die Welt aus den Angeln zu heben, rollte ich mich in meinen Schlafsack. Irgendwas muss ja auch noch für morgen bleiben, dachte ich mir und verschob die Eroberung Jerusalems auf den nächsten Tag. Ich rollte mich schon bald wieder aus, weil es bei 27 Grad mit Schlafsack doch zu warm war. Dann aber schlief ich ungestört bis zum Vormittag und döste noch eine Weile vor mich hin, bis um halb elf die Hitze mich endgültig wieder in die Höhe trieb.
















Der Sonnenuntergang am nächsten Abend von meinem Fenster aus

Samstag, 14. Juli 2007

Jerusalem, ich komme...

...aber jetzt bin ich auf jeden Fall zu müde, noch groß was Sinnvolles zu schreiben.
Wir sehn uns!