Donnerstag, 29. November 2007

Sonntag, 25. November 2007: Ewigkeitssonntag

In Jerusalem hat am Ewigkeitssonntag der „Weihnachtsmarkt“ aufgemacht. Als ich durch die arabisch-christliche Altstadt zur Kirche stapfte (in halbwegs feierliche weiße Jeans gekleidet, immerhin Ewigkeitssonntag!), lachten mir vor den ersten geöffneten Geschäften große aufblasbare Weihnachtsmänner entgegen, die zu unheimlich kitschiger James Last-Musik die Hüften schwangen wie Elvis Presley in seinen besten Monaten. Mehr als nur liturgisch geschmacklos. Aber der Ewigkeitssonntag ist eben ein protestantischer Sonntag, den kennt man in der Altstadt nicht. Und auch wenn, hier gilt eh nur das altbekannte Gebot „Wer zuerst verkauft, verdient am meisten.“

Samstag, 10. November 2007

Freitag, 9. November 2007: Regen, Regen

Doro, Nadia und ich (das Dreamteam aus Ramallah) sind zum Sabbat-Eröffnungsgebet an der Klagemauer gewesen. Danach musste dringend eine Falaffel her, und wir fanden am Neuen Tor die billigste (gute) Falaffelbude, die ich bisher in Jerusalem kenne, nämlich für 6 Schekel pro Falaffel, mit einem echt netten Falaffelmann. (Sag mal einen Satz mit 4 Mal „Falaffel“, hehe.) Na ja, wie wir da so saßen, in einem netten Hinterhof mit Gartenstühlen, fängt es auf einmal, ohne Vorwarnung, einfach so – an zu REGNEN! Richtiger Regen! Und man hat es vorher wirklich nicht gerochen oder am Himmel gesehen, es kam ganz ohne Vorwarnung! Während Doros Laune gegen Null steuerte, als ihr einfiel, wo ihre Bettwäsche grade hing, hab ich ein bisschen im sanften Nieseln getanzt und bin auf der Straße rumgesprungen.
Das zweite Mal richtig Regen nach drei Monaten nur Staub und Sonne Trockenheit! (Vom ersten Mal am 17. Oktober hab ich ja in der Rundmail geschrieben.) Und diese drei Monate waren ja nur meine Zeit in Jerusalem, es hatte die drei Monate vorher ja auch keinen Tropfen geregnet! Man kann sich in Deutschland nicht vorstellen, wie sehr ein ganzes Land durch und durch ausgetrocknet sein kann… (Und es gibt ja noch Gegenden in der Welt, denen es viel schlimmer geht als Jerusalem.) Die Erde zwischen den Baumwurzeln krümelt und lässt sich zwischen den Fingern zu ganz feinem Pulver zerreiben… die Luft kratzt ganz leicht im Hals… man riecht den Staub, der einem in die Nase kriecht… Wo einmal Gras war, raschelt laut gelbes Stroh beim Drauftreten… und dann – Regen, Regen, Regen! Die ersten labenden Tropfen erreichen kaum den Boden, scheinen unterwegs noch von der Luft aufgesogen zu werden… Aber zwei Wochen später die nächsten Tropfen… Und der Sommer hat längst verloren, neigt sich erneut in den Kreislauf des neuen Jahres, in den klammen Herbst – das Warten auf das erlösende Nass fällt jetzt leichter, und es kann nicht mehr lange dauern – Regen, Regen…

Mittwoch, 7. November 2007

Mittwoch, 7. November 2007: Chor

Um mich in meiner Freizeit auch noch ein bisschen mit anderen Sachen als hebräischen, englischen oder deutschen Texten herumzuschlagen, hab ich mich in den letzten zwei Wochen etwas nach Chören umgeguckt. (Die singen nämlich gerne klassisches Zeug, da sind die Texte dann auf Latein oder Italienisch.) Zum Glück ist das Angebot, das ich auftreiben konnte, gar nicht so reich, da fällt die Auswahl leichter. An den vergangenen beiden Sonntagen hab ich im Chor von Martin Vahrenhorst (Leiter unseres Studienprogramms hier) bereits festgestellt, dass ich nur sehr ungern Tenor wäre, wozu die Chorleiterin mich gerne überreden wollte. Hab deshalb beschlossen, dass ich Bass bin.

Gestern Abend war ich dann noch im Uni-Chor, der sich offensichtlich jedes Semester (aus fast nur ausländischen Studenten) neu gründet. Er wird geleitet von einer ehemaligen Operndiva mit einer gewaltigen Stimme. Sie ist sehr lustig, nur leider eine didaktische Katastrophe – sie hat den ganzen Chor einfach regelmäßig umgesungen. Um nicht nachher noch irgendwelcher Verleumdungen schuldig gesprochen zu werden, schweige ich von den anderen Sachen, die mir nicht gefallen haben… ;-) Werde jetzt also zu dem Chor am Sonntag Abend gehen, auch wenn er zu drei Viertel aus 40- bis 60-jährigen Kaffeekränzchen-Damen besteht und zu einem Viertel aus der deutlich unterlegenen Gruppe von Kaffeekränzchen-Herren.

Ich bin ein BASS. Hörst Du?

Dienstag, 6. November 2007

Samstag, 3. November 2007: Fahrradtour

Das Tote Meer ist nur knapp drei Stunden mit dem Fahrrad von Jerusalem entfernt. Jedenfalls wenn man die A1 vom Har haZofim Richtung Ma'ale Adumim nimmt. Doro und ich beschlossen deshalb, unsere Drahtesel ein bisschen Spazieren zu fahren. Nur ist die Autobahn noch nicht ganz ausgebaut, deswegen bekam der Ausflug auch noch einen leicht abenteuerlichen Anstrich. Vor allem fehlt irgendwie der Radweg. Ich bezweifle allerdings, dass er jemals gebaut wird. Stattdessen haben wir einfach die Baustrecke genommen, solange es ging, auf der fuhren keine Autos – wie praktisch.
Obwohl es ja ein Schabbat Vormittag war, herrschte einfach zu viel Verkehr, um wirklich entspannt zu fahren... Aber ich hab die Fahrt trotzdem sehr genossen. 1200 Höhenmeter Abfahrt - da fällt mir ein, ich wollte ja nachgucken, wie viel von den Bremsklötzen noch übrig ist. Und mitten drin mussten wir sogar noch ein kleines Stück wieder bergauf, nicht zu vergessen!
In Qumran haben wir uns ein unverschämt teures Mittagessen im Touri-Restaurant gegönnt, denn einen Fallafel-Stand gab's dort leider nicht. Die ausgegrabene Siedlung ist nicht sooo spektakulär, aber man will ja wenigstens mal dort gewesen sein. Dafür haben wir dann aber noch einmal die Beine untern Arm genommen und sind in die Berge hinaufgeklettert, denn das Wichtigste in Qumran sind schließlich die Höhlen, in denen die berühmten Schriftrollen vom Toten Meer gefunden wurden. Wir haben sogar eine hübsche, nicht ganz leicht zugängliche (uiuiui) Höhle gefunden und sie erkundet. Mittlerweile wohnen Vögel drin. Offensichtlich auch schon etwas länger – siehe die Fotos…
Ein paar Kilometer weiter nördlich fanden wir das sogenannte Biankini Beach am Toten Meer, wo wir leider für die letzten zwei Stunden noch jeder 30 Schekel löhnen mussten. Dafür haben wir uns dann aber auch das volle Programm gegönnt: Baden, Schlammpackung, ausgiebige Dusche und ein anständiges chilliges Abendessen zum Abschluss. Unsere Diwans auf der Terrasse waren schon sehr gemütlich.
Fahrradtour

Die Heimreise stellte dann die eigentliche Herausforderung dar. Denkt etwa jemand, wir fahren die 25 km und 1200 Höhenmeter wieder bergauf? Von wegen. ;-) Wir hatten uns sämtliche Überland-Busse aufgeschrieben, die in dieser verlassenen Gegend Samstag abends nach Schabbatende vorbeikommen. Der erste kam tatsächlich relativ pünktlich. Dummerweise war er proppevoll. Und als der Fahrer missmutig das Gepäckfach an der einen Seite öffnete, war auch das proppevoll. Auf Doros Drängen hin öffnete er uns auch noch das auf der anderen Seite – unglaublich, es war leer! Wir konnten ihn überreden, uns samt Fahrrädern noch mitzunehmen, und setzten uns zu den anderen Fahrgästen in den Mittelgang auf den Fußboden.
Die zweite Hürde war der Checkpoint an der Grenze zu West-Israel. Wir hatten nämlich alle beide unsere Reisepässe in Jerusalem vergessen und nur die Studentenausweise der Uni dabei – und waren wirklich skeptisch, ob das die Grenzbeamten überzeugen würde. Wir überlegten schon, wen in Jerusalem wir anrufen würden, damit er uns von der Grenze abholt… Als der Bus sich in die Autoschlange vor dem Checkpoint einreihte, wurde mir langsam wärmer. Plötzlich jedoch schien der Fahrer sich zu überlegen, dass er keine Lust mehr hatte zu warten, scherte aus der Schlange aus auf einen Seitenstreifen, schlängelte sich (ich hab wirklich selten einen Bus gesehen, der sich geschlängelt hat, aber hallo) an den Wachhäuschen vorbei und brummte freundlich grüßend an den Grenzbeamten vorbei Richtung Jerusalem, ohne noch einmal anzuhalten.
Mit immer noch einer ordentlichen Portion Adrenalin im Blut kam ich zuhause an, machte mir erst mal einen Tee und setzte mich an meine restlichen Hausaufgaben. Als eine Stunde später Douwe, mein niederländischer Mitbewohner, auch nach Hause kam, meinte er zu mir, dass ein Uni-Pass am Checkpoint problemlos ausgereicht hätte – wir wären ja nur im Siedlungs- und Touristengebiet gewesen und nicht in den eigentlichen palästinensischen Gebieten. Ich weiß noch immer nicht, ob ich ihm glauben soll… Ich glaube, ich werde den Reisepass das nächste Mal trotzdem mitnehmen.

Freitag, 2. November 2007

Freitag, 2. November 2007: Lesefrüchte zum Zuhören

An der Universität gab es viele komische ethnologische Klischees. Eins davon war, wie hoch doch die europäische Mathematik bei den alten Kulturvölkern in der Schuld stehe, man brauche sich ja nur die Pyramiden anzuschauen, deren Geometrie einem Respekt und Bewunderung abnötige.
Das ist natürlich als Schulterklopfen getarnte Idiotie. In der Wirklichkeit, die sie abgrenzt, ist die technologische Kultur souverän. Neben der Integralrechnung sind die sieben bis acht Faustregeln der ägyptischen Landmesser die reinste Rechenbrettmathematik.
Jean Malauri schreibt in „Die letzten Könige von Thule“, ein wesentliches Argument für das Studium der interessanten Polareskimos sei die Tatsache, dass man dadurch etwas über den Übergang des Menschen vom Neandertalerstadium zum Steinzeitmenschen lernen könne.
Das ist mit einer gewissen Liebe geschrieben. Aber es ist eine Studie über nicht erkannte Vorurteile.
Jedes Volk, das sich an einer von der europäischen Naturwissenschaft festgesetzten Notenskala messen lässt, steht immer als Kulturverbund höherer Affen da.
Das Notengeben ist sinnlos. Jeder Versuch, die Kulturen nebeneinander zu stellen, um zu bestimmen, welche davon am höchsten entwickelt ist, führt immer nur dazu, dass die westliche Kultur noch einen weiteren beschissenen Versuch unternimmt, den Hass auf ihren eigenen Schatten auf andere zu projizieren.
Es gibt nur eine Art und Weise, eine andere Kultur zu verstehen. Sie zu leben. In sie einzuziehen, darum zu bitten, als Gast geduldet zu werden, die Sprache zu lernen. Irgendwann kommt dann vielleicht das Verständnis. Es wird dann immer wortlos sein. In dem Moment, in dem man das Fremde begreift, verliert man den Drang, es zu erklären. Ein Phänomen erklären heißt, sich davon zu entfernen. Wen ich anfange, mit mir selber oder anderen von Qaanaaq zu reden, habe ich fast wieder verloren, was nie richtig mein gewesen ist.
Wie jetzt auf seinem Sofa, wo ich Lust habe, ihm zu erzählen, weshalb ich an die Eskimos gebunden bin. Dass es mit ihrer Fähigkeit zu tun hat, ohne jeden Zweifel zu leben mit dem Wissen, dass das Dasein sinnvoll ist. Dass es mit der Art und Weise zu tun hat, wie sie in ihrem Bewusstsein mit unvereinbaren Gegensätzen leben, ohne an deren Widersprüchen zugrunde zu gehen oder nach einer vereinfachenden Lösung zu suchen. Dass es mit ihrem kurzen, kurzen Weg zur Ekstase zu tun hat. Weil sie einem Mitmenschen begegnen und ihn so sehen können, wie er ist, ohne zu bewerten und ohne ihren klaren Blick durch Vorurteile trüben zu lassen.
All das drängt es mich, ihm zu sagen. Diesen Drang lasse ich jetzt wachsen. Ich spüre, wie er mir aufs Herz, auf den Hals, hinter die Stirn drückt. Ich weiß, dass das so ist, weil ich in diesem Augenblick glücklich bin. Nichts korrumpiert ja so sehr wie das Glück. Es lässt uns glauben, dass wir, wenn wir diesen Moment mit jemandem teilen, auch die Vergangenheit mit einschließen können. Wenn der Mechaniker stark genug ist, mir entgegenzukommen, kann er wohl auch meine Kindheit in sich aufnehmen.
Dann lasse ich los. Der Drang zu erzählen ist eine Spannung. Sie steigt empor und verschwindet durch die Decke, und der Mechaniker wird nie auch nur ahnen, dass sie existiert hat.
(Peter Hoeg: Fräulein Smillas Gespür für Schnee, 3. Teil, Kap. 1)

Samstag, 27. Oktober 2007: Ramallah

Spontan lass ich mich von Doro überreden, auf einen Tagestrip mit nach Ramallah zu kommen. Das liegt in der Westbank, nur 20 km nördlich von Jerusalem, eine knappe Stunde mit dem Bus. Es ist sozusagen die Hauptstadt der Palästinensischen Autonomie. (Von der man schon nach kurzen Gesprächen mit Palästinensern weiß, dass sie alles andere als autonom ist... Es ist gut, als Student in West-Israel auch einmal die andere Seite des Konflikts ein bisschen kennen zu lernen.)

Ich hab unseren Tagestrip in einer kleinen Fotostory verarbeitet.
27. Oktober 2007 - Ramallah