Samstag, 13. Oktober 2007

Samstag, 13. Oktober 2007: Wieder… zuhause?

Was macht ein Zuhause aus? Jedes Mal, wenn ich umziehe, rückt mir diese Frage unheimlich nahe auf die Pelle. Was macht mein Zuhause aus? Immer wenn ich Menschen, ein Zimmer, eine lieb gewonnene Umgebung zurücklassen muss, packt mich die Wehmut und das Gefühl, etwas unwiederbringlich verloren zu haben. Ich bin ein melancholischer Mensch… in den Zeiten, wo sich viel in meinem Leben verändert, merke ich es selbst immer am deutlichsten. Gleichzeitig drängt sich mir aber auch die unbarmherzige Gewissheit auf, dass ich doch ein Wanderer bin, der in dieser Welt keine endgültige Heimat finden wird. Oder ist dieser Gedanke vielleicht gar nicht so unbarmherzig, wie er sich oft anfühlt?
Ich konnte manchmal in den drei Wochen im Juli zwischen Leipzig, Ostfriesland, München und Jerusalem recht viel Trost darin entdecken, manchmal aber auch nicht. Ich wusste jedenfalls die ganze Zeit über, dass es mir wohl ziemlich schwer fallen würde, mich ohne so viele gute Freunde, ohne meine Leipziger WG, ohne meine eigene Zimmereinrichtung irgendwo halbwegs „zuhause“ zu fühlen. Vielleicht kann es nicht jeder so gut verstehen, aber meine Bücher, mein Schreibtisch, mein kleines improvisiertes Teetischchen aus Umzugskarton und einem großen Stück dunkelblauen Stoff – sie haben mir in Leipzig unheimlich viel „Zuhause“ gegeben.
Als ich in Jerusalem nachts um drei in ein kahles, weiß gestrichenes und karg möbliertes Zimmer mit einer Neonröhre als Beleuchtung trat, trat mir diese Frage wieder mit Macht vor Augen: „Kann das für ein Jahr mein Zuhause werden??“
Ich war sehr froh, dass ich – mehr aus einer ungewissen Idee heraus – einige Postkarten mitgenommen hatte, die schon in Leipzig an Wänden und Zimmertür hingen. Als vorläufige Zimmerdeko erzählen sie mir mit vielen vertrauten Erinnerungen beharrlich, aber liebevoll und immer wieder, dass dies Zimmer tatsächlich „meins“ ist… mein Zuhause… zumindest für ein Jahr.
Als ich vor vier Wochen am letzten Abend meiner Sinai-Reise noch einmal am Strand saß, erwischte ich mich selbst plötzlich bei dem Gedanken, dass ich jetzt wieder nach „Hause“ zurückkehren würde – wieder in meinem eigenen Bett schlafen, wieder in meinem eigenen Zimmer wohnen würde. In der Tat, es fühlte sich schon wesentlich stärker danach an, nach Hause zu kommen, als ich wieder einmal mitten in der Nacht den Schlüssel in der Wohnungstür umdrehte und die Klinke meiner Zimmertür drückte. Das gleiche passierte mir dann in den letzten Tagen noch öfter, wenn ich mich gegen Ende unserer Nordisrael-Reise auf meine eigenen vier Wände freute. So was…
Jetzt sitze ich in meinem, tatsächlich „meinem“ Zimmer und lese beim Tee weiter „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“, das ich schon vor unserer Reise angefangen hatte. 12 Tage sind Markus, Anika und ich an der Mittelmeerküste auf und ab gewandert und am See Genezareth Jesu Fußstapfen nachgegangen. Eine Woche habe ich jetzt noch, um mich etwas zu sortieren, E-Mails zu beantworten und Fotos ins Internet zu stellen. Dann geht das Wintersemester los und legt mir wieder eine stramm strukturierte Woche vor.
Natürlich bin ich erst mal in das übliche Loch gefallen, dass ich gar nicht wusste, wo ich anfangen sollte vor lauter Freizeit und wollte-ich-schon-längst-mal-machen. Dabei merke ich deutlich, was meine Zimmerdeko nicht leisten kann. Ich vermisse gute alte Freunde, die mich seit Jahren kennen, die mich nehmen, wie ich bin, die wissen, wie man mir zuhört, bei denen ich – zuhause bin. Unsere deutsche Gruppe von Studenten hier in Jerusalem ist okay, ich verstehe mich mit allen ganz gut oder sogar besser. Es gibt eben nur Sachen, für die braucht man gute alte Freunde. Auch E-Mail und Telefon, Skype und ICQ sind nicht das gleiche wie ein Spaziergang zu zweit im Grünen oder ein gutes Bier auf dem Balkon. Gute alte Freunde sind ein großer Bestandteil von „Zuhause“… Freunde, Ihr fehlt mir!

„Nur wenige Menschen können zuhören. Ihre gehetzte Eile zieht sie aus dem Gespräch heraus, oder sie versuchen innerlich, die Situation zu verbessern, oder sie überlegen sich ihren Auftritt für den Moment, in dem man selber die Klappe hält, damit sie sich nun ihrerseits in Szene setzen können.
Mit dem Mann vor mir ist das anders. Wenn ich rede, hört er unzerstreut zu, was ich sage, und nichts sonst.“
Peter Hoeg: Fräulein Smillas Gespür für Schnee, Kap. 7.

„Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“
Hebräer 13, Vers 14.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ich glaube, die Beziehung zum "Zuhause" ist individuell unterschiedlich. Ich persönlich kann mein Zuhause relativ rasch wechseln. In Greifswald war ich nur vier Monate. Trotzdem habe ich meine WG dort rasch ganz unbekümmert als "Zuhause" bezeichnet. Vorhin habe ich spontan dort vorbeigeschaut. Die Mieter auf dem Stockwerk haben komplett gewechselt. Da war nix mehr von "Zuhause". Aber das ist OK. Letztlich haben Christen ihre Heimat sowieso im Himmel...