Mittwoch, 2. Januar 2008

Mittwoch, 2. Januar 2008: Hausarbeiten auf Hebräisch

...nein, nicht 2007... Geht Euch das auch so, dass Ihr den ganzen Januar über immer noch 2007 schreiben wollt?
Ende November hat mich unverhofft und urplötzlich die Realität eingeholt. Im Talmud-Proseminar bekamen wir am Montag einen unscheinbaren weißen Zettel mit einer „Übung“, die offensichtlich aus drei einzelnen Aufgaben bestand. (Das war noch leicht, weil die drei Absätze mit „1.“, „2.“ und „3.“ anfingen – der Rest war schon wieder schwieriger.) Die „Übung“ entpuppte sich als fünfseitige Hausarbeit – auf Hebräisch. Zwei Wochen Zeit. Ich hatte die Tragweite dieses Zettels noch nicht so richtig verdaut, da kriegten wir am nächsten Tag in der Midrasch-Übung noch einen unscheinbaren weißen Zettel. Er war in fünf Absätze unterteilt und mit „1.“, „2.“, „3.“, „4.“ und „5.“ versehen. Aber bevor ich so richtig Angst kriegen konnte, fanden wir heraus, dass wir hier zum Glück nur zwei Seiten schreiben sollten. Auf Hebräisch. Zwei Wochen Zeit. Na ja. Zwei Wochen, das würde ich doch wohl hinkriegen.
Mit Hilfe des Tutoriums bei unserem Studienleiter Martin Vahrenhorst fanden wir recht schnell alle Bücher und gewannen einen ungefähren Überblick über das, was wir jetzt machen sollten. Als ich nach dem ersten Schrecken dann mal angefangen hatte, kriegte ich richtig Spaß bei der Arbeit. Markus und ich setzten uns einen Nachmittag zusammen und übersetzten den Text der längeren Arbeit. Es ging um - hm, das war gar nicht so leicht rauszufinden. Auf jeden Fall wurden im Text die Verhaltensregeln diskutiert, wie man das Schma’ Israel, sozusagen das jüdische Glaubensbekenntnis, richtig liest. Darf ein Arbeiter, der oben in einem Baum (offensichtlich ein Obstpflücker) oder auf einer Mauer (wahrscheinlich ein Maurer?) sitzt, dort das Schma lesen oder nicht? Und darf jemand, der gerade das Schma liest, sich dabei unterbrechen lassen von jemandem, der ihn grüßt? Und darf er sich nur bei den Absätzen unterbrechen lassen oder sogar mitten in einem Absatz? Und darf er selbst jemanden grüßen - und wenn ja, auch. um jemandem Ehrerbietung zu erweisen, oder nur, um nicht in Gefahr zu geraten, wenn man es bei hohen Herren nicht täte? Ich glaube, ich hab selten so einen Spaß bei einer Hausarbeit gehabt. Ich wurde richtig heiß drauf und konnte es im Sprachkurs immer gar nicht erwarten, wieder nach Hause an den Schreibtisch zu kommen. Unglaublich, was für Adrenalinschübe man kriegt, wenn man seine erste selbst geschriebene Hausarbeitsseite in einer völlig bizarren Sprache vor sich sieht. Der Brustkorb schwillt wie von selbst auf das doppelte Volumen vor lauter Stolz...
Nu ja, die Zeiten änderten sich auch wieder. Ich konnte es nicht lassen, am ersten Wochenende mit auf die Wanderung der Erlöserkirche in den Negev zu gehen. Und am zweiten Wochenende flog uns ganz spontan eine Einladung der Dormitio (dem anderen deutschen Studienprogramm) in den Mailkasten, doch mit auf die Tagesfahrt nach Jericho zu kommen. Als so langsam die beiden Fristen von ferne zu winken begannen, merkte ich (wie immer im letzten Viertel einer Hausarbeit, haha), wie viel man innerhalb eines Tages arbeiten kann. Die Nächte wurden immer kürzer, der Frust immer größer.
Den Tiefpunkt erreichte ich am Samstag Nachmittag vor dem ersten Advent. Um mich abzureagieren, tat ich etwas, was ich noch nie getan hab. Ich ging einkaufen. Aus Frust. Ich kannte mich selbst nicht wieder. Na ja, eigentlich ging ich nur auf den Adventsbasar der Erlöserkirche. Aber ich kaufte mich in einen richtigen Kaufrausch. Vermutlich, weil ich nicht genug geschlafen hatte und nicht mehr wusste, was ich tat. Neben einigen anderen Sachen hier meine persönlichen Favoriten: Ich kaufte alle vier Bände von Rosenius' „Geheimnissen in Gesetz und Evangelium“ für umgerechnet 73ct, weil der Vikar gesagt hatte, das kennt er nicht, das braucht die Bibliothek der Erlöserkirche nicht. Mein Frust wurde ein bisschen gedämpft, dafür regte ich mich jetzt über den Vikar auf. Bildung, wo bist du hin? Außerdem schwatzte mir Miriam, Volontärin an der Erlöserkirche, einen unglaublichen mausgrauen Anzug aus den Dreißiger Jahren für umgerechnet 5 Euro auf. Ich werde zum ersten Mal in meinem Leben der Mode weit voraus sein, wenn dieser Anzug in genau vierzehn Jahren wieder von jedermann getragen wird.
Mit neuem Adrenalin hockte ich mich wieder an meine Arbeiten. Ich ließ ein, zwei Uni-Veranstaltungen, den Chor und ein paar Stunden Schlaf sausen und gab beide (fast) rechtzeitig ab. Schon vorletzte Woche bekamen wir die Midrasch-Arbeit zurück, vorgestern die Talmud-Arbeit. Wie unser Studienleiter uns schon vorher prophezeit hatte, gehörten die Arbeiten von uns deutschen Studenten eindeutig zu den besseren. Soll heißen, wenn wir es nur anständig auf Hebräisch ausdrücken könnten, wären wir eigentlich gar nicht so dumm, wie wir in den Unterrichtsstunden immer gucken. Nu ja. Nehm ich doch gerne so hin. Ich hoffe nur, dass die Erwartungen der Lehrer an unsere Abschlussprüfungen jetzt nicht einen größeren Sprung nach oben gemacht haben.
Ich sitze grade an einem Rechner in der Uni. Jetzt habe ich noch zwei Stunden Sprachkurs, dann fahr ich wieder nach Hause. Da gibt es Tee. Und die nächste Hausarbeit. Haben wir letzte Woche im Midrasch-Kurs gekriegt. Freu mich schon drauf. Ja, ehrlich. Ist nämlich nur eine. Im Talmud-Kurs kriegen wir die nächsten zwei Wochen erst mal keine. Hab extra nachgefragt.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hehe - sehr cool... :-)